Zuhören, Verstehen, Lieben: Dr.Schreibers im Gespräch mit Ilona Tamas über Weiblichkeit, Sexualität und die Tiefe sinnlicher Erfahrung.
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In den Wechseljahren erleben viele Frauen nicht nur eine körperliche, sondern auch eine emotionale und sexuelle Transformation. Es ist eine Zeit des Umbruchs, aber auch der Neuentdeckung. In einem inspirierenden und erhellenden Gespräch mit Ilona Tamas, Expertin für Frauenempowerment und Sexualkultur, tauchen wir in die Welt der weiblichen Sexualität, der sinnlichen Erfahrung und der Kraft der Kommunikation ein. Ein offenes Gespräch für alle Frauen, die in den Wechseljahren stehen und ihre Sinnlichkeit und Partnerschaft neu entdecken möchten.
Dr.Schreibers®: Liebe Ilona, es ist bekannt, dass Frauen in der Lebensmitte und den Wechseljahren mit vielen Veränderungen und neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Welche Erfahrungen und Einsichten kannst du aus deiner Arbeit in diesem Bereich mit uns teilen?
Ilona Tamas: Es gibt mehrere Herausforderungen. Eine der zentralen ist sicherlich die Veränderung in der eigenen Wahrnehmung. Oft fühlen sich Frauen plötzlich von Aktivitäten oder Dingen abgewandt, die sie bisher geschätzt haben. Das führt zu Momenten, in denen man denkt: "So will ich das nicht mehr." Neben den physischen Symptomen, wie Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen, ist die innere Akzeptanz von solchen Veränderungen, besonders in Bezug auf die eigene Sexualität, herausfordernd, aber auch wichtig. Also einmal, dass man es für sich selbst annimmt - ja so ist es jetzt - und dann auch das, was man nach außen gibt - nein, so will ich das nicht mehr. Oftmals stellt sich dann die Frage, was man selbst noch möchte und wie man eine erfüllte Sexualität gestalten kann. Für uns Frauen ist es, meiner Erfahrung nach, wichtig, dass Sexualität auch etwas ist, das uns Intimität und Entspannung schenkt und uns auf diese Art auch körperlich nährt.
S: Du hast dir genau das zur Aufgabe gemacht - Frauen dabei zu helfen, sich neu, lustvoll und sinnlich zu entdecken und ihre Weiblichkeit zu entfalten. Welche Fragen und Themen treten in deiner Arbeit häufig auf?
I: Fragen und Themen, um die es in meiner Arbeit geht, gehen häufig in die Richtung, wie Frau Sexualität erlebt. Viele Frauen sind unsicher in Bezug auf ihre Sexualität, ihren Körper, insbesondere auch über anatomische Details wie Vulva und Vagina. Dort fehlt es oft an Wissen, was aber auch daran liegt, dass es nirgends vermittelt wird. Die Unsicherheit rührt zudem daher, dass für viele das eigene Erleben ganz anders ist, als das, was man so hört, sieht und liest. In den Medien, aber auch im eigenen Umfeld.
Ich ermutige Frauen, ihren Körper genauer zu erforschen, auch den Intimbereich, beispielsweise durch den Gebrauch eines Spiegels. Ebenso wichtig ist es, sich Gedanken über die Worte zu machen, die wir verwenden, welche häufig mit Scham verbunden sind - da geht es um Schamhaare, Schamlippen oder auch Brustwarzen. Ich empfehle, Begriffe zu finden, mit denen man sich wohlfühlt und die den eigenen Körpererfahrungen.
Es geht außerdem um Selbsterfahrung. Sexuelle Selbstliebe ist hier ein Stichwort.
S: Was genau meinst du mit “sexueller Selbstliebe”?
I: Durch sexuelle Selbstliebe können Frauen herausfinden, was sie wirklich wollen und genießen. Das bildet auch die Grundlage, um diese Bedürfnisse in einer Partnerschaft zu kommunizieren. Dabei spielt Achtsamkeit eine zentrale Rolle. Es geht darum, sich selbst während intimer Momente wirklich zu spüren und sich nicht ausschließlich auf die Bedürfnisse des Gegenübers zu konzentrieren. Dazu muss man aber erst einmal wissen, was man will, was einem gefällt. Selbstliebe ist eine gute Sache, um das herauszufinden. Oft sind gerade wir Frauen es gewohnt, sich ständig um andere zu kümmern und vergessen dabei, auf sich selbst zu achten. Durch Selbstliebe und das bewusste Fühlen des eigenen Körpers während der Intimität können wir viel über unsere Bedürfnisse und Vorlieben lernen. Denn das kann man nicht lesen oder durch Erfahrungen von Freundinnen nachvollziehen. Es lässt sich vielleicht ab- oder vergleichen, aber was man selbst wirklich will und gut findet, kann man nur selbst herausfinden.
Ein Dialog mit dem eigenen Körper kann ebenfalls sehr aufschlussreich sein. Dafür gibt es auch diverse Möglichkeiten. Bei Beschwerden oder Unsicherheiten empfehle ich, direkt mit dem betroffenen Organ zu "sprechen" und zu fragen, was es braucht.
S: Das klingt interessant! Kannst du den Prozess näher erläutern?
I: Gerne. Ich rate Frauen, in einem entspannten Zustand mit ihrem Körper in Kontakt zu treten. Zum Beispiel, indem sie ihre Hände auf ein bestimmtes Organ legen, tief atmen und dann um einen Dialog bitten. Man kann Fragen stellen wie “Was brauchst du gerade von mir?” oder “Was kann ich tun, damit es dir besser geht?”. Oft bekommt man auf diese Weise überraschend klare Antworten von seinem Körper. Sehr häufig kommt vom Körper auch eine Antwort à la "Na darauf habe ich schon lange gewartet."
Im Bezug auf die Sexualität und Weiblichkeit geht das natürlich super mit der Vulva, bzw. Vagina oder auch der Gebärmutter. Zum Beispiel, auch wenn es darum geht, dass man den eigenen Schoß als Quelle von Weisheit oder Inspiration wahrnimmt, dass man damit in Kontakt tritt. Das ist gerade für Frauen in den Wechseljahren eine gute Möglichkeit, denn auf diese Weise kann man vielleicht Antworten darauf finden, wie man das Leben weiterleben und gestalten will.
S: Leider sind gerade solche Themen, die Sexualität und Weiblichkeit betreffen, noch immer gesellschaftliche Tabus und unsere Körper werden an Idealen gemessen. Das prägt ganz automatisch unser Selbstbild. Welche Ratschläge hast du für Frauen, um sich durch den Dschungel von gesellschaftlichen Erwartungen, Tabus und dem eigenen Selbstbild besser zu navigieren?
I: Das ist in der Tat eine komplexe Herausforderung. Es erfordert Akzeptanz und Selbstliebe. Mit den Wechseljahren erleben viele Frauen den Konflikt zwischen gesellschaftlichen Idealen und ihrer Realität. Es geht darum, diese Veränderungen anzunehmen und zu schätzen, was der eigene Körper leistet. Es ist wichtig, die Realität zu erkennen und zu sagen: "Ja, ich werde älter. Mein Körper verändert sich, und das ist okay." Dies erfordert oft eine bewusste Entscheidung, das eigene Leben nicht durch diese Veränderungen vermiesen zu lassen.
Es gibt einen recht profanen Spruch, den ich allerdings auch für sehr wahr halte: "Willst du glücklich sein, dann sei es." Selbst wenn man in den Wechseljahren ist, einige Kilo mehr wiegt, die Haare grau oder weniger werden – das Alter definiert nicht den Wert oder das Potenzial einer Frau. Dankbarkeit für den eigenen Körper, der einen das Leben lang begleitet hat, ist essenziell. Es ist auch wichtig, sich der Signale des Körpers bewusst zu werden und darauf zu hören.
S: In Beziehungen können die körperlichen Veränderungen, wie auch Veränderungen der Wünsche und Bedürfnisse zu Spannungen führen. Wie kann man das Thema Sexualität und Veränderung innerhalb einer Partnerschaft angehen?
I: Tipp Nummer 1: Das Gespräch über Sexualität sollte nicht spontan im Schlafzimmer stattfinden. Es ist ratsam, einen konkreten Zeitpunkt und Ort für dieses Gespräch zu planen. Man kann sich beispielsweise dazu gemeinsam in der Küche auf eine Tasse Tee treffen. Eine effektive Methode ist, dass jeder Partner abwechselnd 10 Minuten spricht und der andere aktiv zuhört. Hierbei steht die offene Kommunikation im Vordergrund, ohne Schuldzuweisungen. Jeder sollte seine Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Hilfreich können auch diverse Bücher oder Spiele sein, um das Gespräch zu fördern. Ich empfehle beispielsweise die "Sexkiste der Liebe", ein Set mit über 500 Fragen rund um Liebe und Sexualität. So lässt sich auf spielerische Weise an das Thema herangehen und sich selbst und die Beziehung kennenlernen. Von Annelene Hennig gibt es auch zwei solcher Spiele. So ist man nicht auf sich alleine gestellt, wenn man vielleicht gar nicht genau ausdrücken kann, was man sich wünscht oder was anders ist oder anders sein soll. Dabei geht es übrigens nicht nur um Sex, sondern auch um Nähe und Intimität. Oftmals fällt die Zärtlichkeit weg, wenn keine sexuelle Intimität vorhanden ist. Es ist wichtig, Nähe und (nicht sexuelle) Intimität zu bewahren, auch wenn der Sex selbst sich verändert hat oder seltener wird.
S: Slow Sex ist ein Begriff, auf den man hier oft stößt. Auch du schreibst auf deiner Website darüber. Was genau bedeutet das?
I: Slow Sex legt den Fokus auf den Genuss des Moments, statt nur das Ziel des Orgasmus im Auge zu haben. Wie der Name schon sagt, geht es um eine bewusste Verlangsamung der Sexualität. Es ist vergleichbar mit der Slow-Food-Bewegung: Es geht um Genuss, Achtsamkeit und das Erleben mit allen Sinnen - jede Berührung voll und ganz zu genießen. Diesen Vergleich zieht übrigens auch Diana Richardson, die den Begriff sehr geprägt hat. Slow Sex hilft dabei, aus festgefahrenen sexuellen Routinen auszubrechen und neue Wege der Intimität zu entdecken. Vor allem dann, wenn man schon ein paar Jahre Sexualität lebt und die Dinge immer den gleichen Lauf nehmen, kann das eine Bereicherung sein. Es kann eine ganz neue Form der Intimität, Zärtlichkeit und Verbindung schaffen.
Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass man nicht zwingend große Lust braucht, um Slow Sex zu probieren. Man kann sich ganz einfach dazu mit dem Partner oder der Partnerin verabreden und sich ein, zwei Stunden in der Woche speziell dafür freihalten. Lässt man sich dann ganz nach dem Motto des Slow Sex Zeit, entsteht die Lust von ganz alleine. Gleichzeitig kann so auch von dem Druck abgelassen werden, wenn bestimmte körperliche Funktionen nicht mehr so (schnell) funktionieren wie vor ein paar Jahren. Wenn es heiß und schnell zur Sache gehen kann, dann ist das natürlich super, zeigt sich jedoch eher, dass das nicht mehr geht oder man sich etwas anderes wünscht, kann Slow Sex einem andere Wege und Möglichkeiten eröffnen.
Im Grunde ist es dabei egal, in welchem Alter man etwas verändern möchte, es wird immer lohnend sein, sich damit zu beschäftigen.
S: Zum Abschluss die Frage - Macht es Sinn, professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen, wenn man seine Sexualität neu entdecken möchte?
I: Absolut. Ich glaube in unserer Gesellschaft lautet häufig das Motto "da muss ich alleine durch" oder "das bekomme ich auch alleine hin". Sich Unterstützung zu holen, ist aber kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Es geht auch nicht darum, fertige Antworten von jemand anderem zu erhalten, sondern vielmehr darum, auf der Suche nach den eigenen Antworten begleitet zu werden. Man kann nicht alles wissen und viele fühlen sich in großen Zeiten der Veränderungen auch einfach alleine und genau da ist eine Begleitung von außen einfach ideal. Experten können wertvolle Impulse geben und helfen, den eigenen Weg klarer zu sehen.
Ilona Tamas: Seit über 10 Jahren Coach für Weiblichkeit & Sexualität, Dozentin für weibliche Sexualkultur und Online-Unternehmerin. Ilona kombiniert ihre Ausbildung in Massage, Sexualcoaching und Schoßraum-Ritualen mit Methoden wie der Selbstheilungsarbeit nach der Methode Wildwuchs und körperorientierten Visualisierungen. Ihr Motto „Genieß Deine Erotik lustvoll – mit Schoß und Herz“ reflektiert ihre leidenschaftliche Arbeit. Sie betreibt eine Praxis in Bad Ems in Deutschland und bietet Online-Sitzungen an. Für Ilona bieten die Wechseljahre Gelegenheiten, das Vertrauen in den eigenen Körper zu vertiefen und sinnliche, erfüllende Momente zu erleben.