Turbulente Wechseljahre - wenn die Psyche leidet
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Die Wechseljahre sind eine Phase im Leben, in der mehrere Belastungen zusammen kommen können. Oftmals kommen zu den körperlichen Veränderungen auch soziale Umbrüche hinzu. Eine Trennung, Druck im Berufsleben, der Verlust der Eltern oder ein Pflegefall, der gefühlte Verlust des Jung-Seins oder wenn die Kinder das Haus verlassen (Stichwort "Empty Nest Syndrom"). All das kann Trauer, Stress und ein Gefühl von Einsamkeit auslösen. Doch auch die Hormone selbst, können für psychische Belastungen verantwortlich sein. So sind Frauen in der Perimenopause drei- bis viermal häufiger von Depressionen betroffen, als Frauen in ihrer reproduktiven Zeit.
Wir haben uns mit der Wiener Psychotherapeutin Brigitte Moshammer-Peter über die Veränderungen der Wechseljahre, unsere Psyche im Wandel und neue Definitionen des Frauseins unterhalten.
Liebe Frau Moshammer-Peter, die Wechseljahre betreffen ja nun fast jede Frau und auch von psychischen Beschwerden sind Frauen sehr häufig betroffen. Immerhin fast 12% aktuell allein von Depressionen, mit vermutlich viel größerer Dunkelziffer. Trotzdem ist beides in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabuthema. Wieso glauben Sie, fällt es noch heute vielen so schwer, offen darüber zu sprechen?
Ja, ich glaube, eine eventuelle Depression ist möglicherweise auch eine Auswirkung des Tabus an sich, weil die Wechseljahre selbst schon so stark tabu-behaftet sind. Ich habe das selbst bei mir beobachten können, dass es fast so etwas wie Scham ausgelöst hat, als ich sie durchlebt habe.
Es ist zwar nicht so, dass jede Frau Kinder bekommen möchte, aber wir definieren uns schon auch über diesen Zyklus und über die Fruchtbarkeit. Nach plus minus 40 Jahren Zyklus, wird dann mit den Wechseljahren sehr deutlich der Prozess des Alterns eingeleitet. Auch wenn man erst Mitte 40 ist, es wird irgendwie klar, du kommst jetzt in einen anderen Lebensabschnitt, in einen Lebensabschnitt, der auf's Altern zugeht. Bei Frauen ist das viel klarer eingeteilt als es das bei Männern ist. Zuerst haben wir die Kindheit, dann menstruieren wir, das heißt wir sind Frauen, haben unser Frauenleben und dann kommt der dritte Lebensabschnitt, in dem wir nicht mehr menstruieren. In dem Moment, wo man sich gewahr wird, dass das Zyklusleben endet, muss man sich in gewisser Weise auch insgesamt mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Damit einhergehend auch mit dem Gedanken darüber, wie man die einem noch verbleibenden Jahre erleben möchte. Da kommt es eben darauf an, wie sie bisher gestaltet waren und wie zufrieden man mit dieser Gestaltung ist.
In diesem Zusammenhang kommen häufig auch Ängste im Bezug auf die körperlichen Veränderungen, das Altern, die Attraktivität und die Sexualität auf. Solche Sorgen und Ängste sind natürlich berechtigt, können aber stark belasten - wie kann man damit umgehen?
Ja, man ist wirklich gefordert darin, wie man die zweite Lebenshälfte oder auch das letzte Drittel, je nachdem, wann der Wechsel beginnt, für sich gestaltet. Wie man sich selbst gestaltet und das eigene Frausein definiert. Alte oder alternde Frauen werden ja in der Gesellschaft ganz anders wahrgenommen als junge Frauen. Einerseits habe ich das Gefühl, man wird ernster genommen, andererseits schwingt auch eine leise Entwertung mit. Es gibt zum Beispiel sehr viele entwertende Ausdrücke älteren Frauen gegenüber, wahrscheinlich noch wesentlich mehr, als es sie Männern gegenüber gibt. Natürlich muss man als Frau dann auch damit umgehen, wie man nun von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Wie definiert man sich als "alternde" Frau, die nun mal an einem anderen Punkt im Leben steht, als noch mit 30.
Was ich selbst häufig erlebe ist, dass Frauen sehr auf sich selbst zurückgeworfen werden. Gerade besonders schöne Frauen, definieren sich häufig auch in diesem Alter noch sehr über die äußere Schönheit, über Attraktivität und "sexy" aussehen. Man kann als 50-jährige aber auf rein körperlicher Ebene nicht mehr wirklich mit einer 20-jährigen in Konkurrenz treten. Da muss man auf andere Werte setzen. Wenn man sich im Leben nicht rechtzeitig darum kümmert, welche Werte das sein könnten, dann kann es in diesem Altersabschnitt plötzlich sehr schwierig werden. Dinge wie Lebenserfahrung, eine gewisse Weisheit oder Humor - wir haben alle so viel. Wir haben mehr zu bieten, als nur unsere äußere Attraktivität. Leider vergessen wir ganz oft, im Laufe unseres Lebens auch darauf den Fokus zu legen. Spätestens in dieser Lebensphase ist man aber gefragt, sich auch hier zu definieren. Wenn das nicht gut gelingt, ist man in einer ganz schwierigen Situation.
Also hilft eigentlich das, wovor sich viele fürchten - sich auch rechtzeitig mit der eigenen Vergänglichkeit auseinandersetzen?
Es ist in Wahrheit gar nicht so schlimm, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Also ich liebe mein Leben und möchte, dass es noch recht lange dauert, aber in dem Moment, in dem ich mich bewusst mit seiner Vergänglichkeit auseinandersetze, wird es auch wertvoller. Das macht man mit Anfang 30 vielleicht noch nicht, wo man sich denkt, man hat noch ewig Zeit. Plötzlich wird es aber wertvoller, wenn man beginnt, darüber nachzudenken, wie man die verbleibenden guten Jahre wirklich noch verbringen will. Was soll in diesen Jahren stattfinden, was möchte ich noch erleben und mit wem möchte ich das noch erleben? Plötzlich ist man auf diese Fragen zurückgeworfen.
Zur Vergänglichkeit möchte ich noch sagen - sie hat auch einen tröstlichen Aspekt. Ich möchte diesen Aspekt hervorheben, denn mit der eigenen Vergänglichkeit vergeht auch aller Schmerz, jede Scham. Die Dinge, die uns heute unangenehm sind oder Wichtigkeit haben, für die wir uns vielleicht schämen, die werden in 100 Jahren nicht mehr von Bedeutung sein. Insofern kann es auch etwas Tröstliches haben.
Es treten bei Frauen insbesondere in den Wechseljahren gehäuft Depressionen auf, warum genau zu dieser Zeit?
In den Wechseljahren kann eine Depression aus zwei Gründen auftreten. Da sind einmal die Hormone - man darf wirklich nicht vergessen, welche starke hormonelle Veränderung wir in den Wechseljahren durchleben. Ich sage immer, das ist wie Pubertät nur umgekehrt. Wir machen einen vergleichbaren Prozess durch. In der Pubertät gibt es auch oft so etwas wie eine depressive Verstimmtheit. Die Hormone spielen verrückt und man ist angehalten, das Leben neu zu gestalten. Das ist in beiden Lebensabschnitten sehr ähnlich. Manche reagieren sehr stark auf die Hormone, andere wiederum bemerken sie kaum, das ist bei jedem und jeder sehr unterschiedlich.
Bei anderen wiederum steht die Art der Lebensgestaltung im Vordergrund. Beides kann Depressionen auslösen. Man muss natürlich bei Personen mit Depressionen, oder in dem Fall Frauen mit Depressionen, in der Therapie immer auf beides hinschauen. Ist sie jemand, die vielleicht medikamentöse Unterstützung benötigt oder ist es eine Person, die mehr in der Lebensgestaltung Unterstützung braucht? In diesem Fall geht es in der Therapie dann darum, sich anzuschauen, wie man lebt, wie man leben möchte, mit wem man leben möchte und was man vielleicht verändern möchte.
Häufig brauchen Personen auch beides. Diese werden dann mit Medikamenten unterstützt und in der Therapie wird zum Beispiel der Lebensstil hinterfragt und erarbeitet.
Sobald die Lebensqualität subjektiv stark eingeschränkt ist, ist es an der Zeit, sich Unterstützung zu holen.
Woran merkt man denn, dass man in einer Depression ist und nicht einfach nur "normale" Wechselsymptome hat?
Im Grunde ist es ja egal, wodurch es ausgelöst wird. Es ist auf jeden Fall ein subjektives Empfinden, ein Empfinden von Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit, Müdigkeit, wo einem alles schwer fällt, vor allem positiv auf die Zukunft zu blicken. Oft ist auch die Sicht auf das ganze bisherige Leben dann eher negativ.
Es gibt da keine scharfe Grenze, aber ich denke, sobald die Lebensqualität subjektiv stark eingeschränkt ist, ist es an der Zeit, sich Unterstützung zu holen. Die Diagnose stellt dann der Arzt oder die Ärztin oder die Therapeut:in. Man muss nicht selbst die Diagnose stellen. Wobei ich die Erfahrung gemacht habe, dass die meisten Leute in ihrer Diagnosestellung schon ganz gut einschätzen können, wie es ihnen geht. Ich würde aber sagen, Hilfe zu holen, dafür braucht man nicht die Eintrittskarte einer Diagnose, sondern Hilfe kann man sich dann holen, sobald man subjektives Leiden empfindet.
Sie schreiben auf Ihrer Seite auch "Alles, was eine Person für ein weitgehend glückliches und zufriedenes Leben braucht, trägt sie in sich. Es ist die Kraft, auch auf schwierige Lebenssituationen angemessen und selbstbewusst reagieren zu können."
Häufig fühlen wir uns jedoch macht- und kraftlos und sehen keinen Ausweg. Gerade dann, wenn wir in einer Krise sind. Was kann man tun, um wieder in diese Kraft zu kommen?
Also manchmal ist es tatsächlich schwierig, allein dort hinzukommen. Dann muss man sich Unterstützung holen von Menschen, die gelernt haben, wie es geht. Was aber jede Person machen kann, ist in sich selbst zu gehen und sich zu überlegen, welche Eigenschaften es sind, die einen auszeichnen, Eigenschaften, die einem nie verloren gehen. Die ureigensten Charakterzüge, die in jeder Situation helfen können. Wir alle haben Ressourcen, die uns in bestimmten Situationen helfen. Das kann so etwas wie Kreativität sein, aber auch Genauigkeit oder Strukturiertheit, eine gewisse soziale Kompetenz oder logisches Denken. Es kann ganz, ganz viel sein. Ich bin überzeugt davon, dass jede Person solche Fähigkeiten hat. Wenn man diese Fähigkeiten in den Vordergrund stellt und darauf vertraut, dass man sich sie verlassen kann, dann sind diese Fähigkeiten schon gute Ratgeber, auch in Krisensituationen.
Kann man sich denn vorbereiten, bzw. was kann man schon in jüngeren Jahren tun, um vorzusorgen? Sodass man eben nicht irgendwann in solche Krisen gerät?
Absolut! Einhundert Prozent ja. Für mich gibt es zwei ganz wichtige Dinge dabei. Das eine ist, sich nicht nur über Äußerlichkeiten zu definieren. Sich zu überlegen, worüber man sich sonst als Frau definieren will und was das eigene Frausein ausmacht. Neben dem, wie man von den Geschlechtspartner:innen gesehen werden möchte.
Was ist das, was einen als Person definiert? Wenn man den Fokus auf vielfältige Qualitäten legt, ist man schon einmal viel sicherer unterwegs.
Dann gibt es einen zweiten Trick, den ich auch oft in der Therapie anwende. Das wäre die Frage, auf welches Leben man als alter Mensch zurückschauen möchte. Wie muss man das eigene Leben gestalten, damit man im Alter so wenig wie möglich zu bereuen hat. Dann gilt es aber auch, dieses Leben wirklich zu gestalten. Möglichst nach den eigenen Wünschen. Das heißt natürlich nicht, über alle anderen hinweg zu gehen und auf niemanden Rücksicht zu nehmen, denn das wird auch nicht zu einem glücklichen Leben führen. Man sollte das Leben nur einfach in einer Form gestalten, wie es einem selbst entspricht. Mit wem oder ohne wen, wo, welcher Job, welche Wohnart, Haustiere, keine Haustiere, Kinder, keine Kinder - alles. Wie möchte man das Leben gestalten, sodass es möglichst weit dem entspricht, wie man selbst als Person ist. Dann gibt es viel weniger Grund, im Alter oder in den Wechseljahren in Depressionen zu verfallen.
Hormonschwankungen hat man natürlich sowieso. Damit kann man entsprechend vorbereitet, jedoch anders umgehen.
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Frauen ab 50 werden in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht mehr als sexuelle Wesen gesehen. Wobei es da ja genauso das Bedürfnis nach Körperlichkeit, Sexualität und Orgasmen gibt.
Sie haben sich in ihrer Arbeit unter anderem auf die Herausforderungen der verschiedenen Lebensabschnitte spezialisiert. Unsere Frage wäre - kommen Frauen denn spezifisch mit dem Thema Wechseljahre zu Ihnen?
Es kommen klassischerweise schon sehr viele Frauen, aber auch Paare in diesem Altersabschnitt. Eigentlich bin ich aber meistens diejenige, die danach fragt, wie es mit den Wechseljahren ausschaut. Dass Frauen das Thema von sich aus ansprechen, kommt seltener vor. Es ist aber typischerweise auch ein Lebensabschnitt, der zu einer gewissen Lebenskrise führen kann. Denn es ist ein Abschnitt, der Neugestaltung fordert. Besonders bei Frauen oder Paaren, die Kinder geboren haben, ist es mehr oder weniger der Zeitraum, wo die Kinder erwachsen werden, das Haus verlassen, wo man wirklich vor der Frage steht, wie man nun nach dieser langen Phase des Elternseins, das Leben und die Partnerschaft gestaltet. Etwas, wo sehr viele, um nicht zu sagen alle, irgendwann hinkommen, ist die Frage danach, wie man nun die Sexualität gestaltet. Denn Sexualität ist nun mal, wenig überraschend, auch stark von den Hormonen abhängig. Der Abfall des Hormonspiegels bewirkt daher natürlich Veränderungen in der Sexualität. Man möchte vielleicht nicht mehr das Gleiche, was man in früheren Lebensabschnitten wollte. Die Erregungskurve ist anders, man hat vielleicht andere Vorlieben, braucht länger, um erregt zu werden. Man muss sich also auch in der Sexualität noch einmal ganz neu einstimmen. Wie möchte man es jetzt, was braucht man jetzt, wie sehen die Bedürfnisse aus, auch im Vergleich dazu, was man früher wollte.
Da sind die nächsten Tabus.
Ja! Das sind ganz große Tabus. Weil Frauen jenseits der 50, und das ist bei Frauen wesentlich deutlicher als bei Männern, ganz oft die Sexualität abgesprochen wird. An die 60, 65, 70, 75, ... denkt man bei Frauen gar nicht. Männern gesteht man Sexualität viel länger zu. Das ist auch etwas ungerecht - während Männer jenseits der 50 mit ihren grauen Schläfen als interessant wahrgenommen werden, vielleicht sogar attraktiver als in früheren Lebensabschnitten, sind Frauen plötzlich weniger attraktiv und werden in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht mehr als sexuelle Wesen gesehen. Wobei es da ja genauso das Bedürfnis nach Körperlichkeit, Sexualität und Orgasmen geben kann.
Das kann für eine Partnerschaft sicher sehr herausfordernd sein.
Ja, es kann sehr schwierig sein. Es kann aber auch leichter werden. Denn man ist beispielsweise endlich die lästige Verhütung los oder muss nicht mehr darüber nachdenken, ob man nun während der Menstruation Sex hat oder nicht. Es braucht aber natürlich trotzdem eine Neugestaltung, weil die Hormone eben nicht mehr so schnell anspringen wie in früheren Lebensphasen. Das heißt aber nicht, dass man darauf verzichten muss. Es heißt nur, dass man damit anders umgehen kann. Man muss sich eben wieder erforschen als Frau, was man möchte, was einem gut tut. Dann braucht man auch einen Partner oder eine Partnerin, die auch darauf eingeht.
Ich kann hier zwei wunderschöne Filme empfehlen, nämlich "der Sex der Frauen" und "der Sex der Männer". Das sind Menschen in ihren 60ern und 70ern, die über ihre Sexualität sprechen. Der ist wirklich wunderschön. Kann ich nur empfehlen.
Abschließend lässt sich sagen, dass mit den Wechseljahren, trotz der Möglichkeit verschiedenster Widrigkeiten, die vielleicht genussvollste Lebensphasen für Frauen beginnen kann, quasi die Zeit der "Ernte". Wichtig ist allerdings, dass frau ihre Bedürfnisse erkennt und beachtet und ihr Dasein auch danach gestaltet. Dann ist es möglich, auch jenseits der 50, 60 und bis hinauf ins hohe Alter ein lust- und freudvolles Leben zu führen.
Du bist noch nicht im Wechsel oder stehst gerade am Beginn? Oft können die ganzen Symptomlisten und negative Erfahrungsberichte etwas beängstigend wirken. Wie du entspannt und ohne Angst in den Wechsel kommst, darüber hat auch das ehrenamtliche Projekt "Arztphobie" einen Beitrag geschrieben. Hier kannst du reinlesen: Angst vor den Wechseljahren überwinden