TRAUMATA HEILEN
Man hat sich das Leben anders vorgestellt? Man leidet an und in unglücklichen Beziehungen? Sorgen und Ängste bestimmen den Alltag? „Baustellen“ der Gegenwart haben meist ihren Auslöser in der Vergangenheit. Die Lebensmitte ist ein guter Zeitpunkt um genau hinzusehen und hinzuspüren, welche ungelösten Dinge Aufmerksamkeit brauchen. Dabei gilt es gelernte Muster und Verhaltensweisen zu hinterfragen und seinen „Werkzeug-Kasten“ mit hilfreichen Tools neu zu bestücken.
Die Soziale Verhaltenswissenschaftlerin Dami Charf weiß wie viel Mut und Kraft das kosten kann. „Wir wollen uns verändern, damit wir Schmerzen entkommen. In den meisten Fällen wollen wir von etwas weg und nicht zu etwas hin. Wir fangen an zu leiden, wenn unsere Erwartungen und unser Ist-Zustand sich nicht decken oder zu weit auseinanderklaffen, unsere Vorstellung vom Leben also zu wenig mit unserem Leben übereinstimmt.“ Im Interview erklärt die Trauma-Expertin warum es zu Traumata kommen kann und warum genau jetzt der richtige Zeitpunkt sein könnte um diese genauer unter die Lupe zu nehmen.
TRAUMA-EXPERTIN DAMI CHARF IM INTERVIEW
Copyright Foto: Dami Charf
Was versteht man unter einem Trauma?
„Es gibt verschiedene Arte von Trauma, die bekannteste ist das Schocktrauma. Das ist ein singuläres Erlebnis, das eine Person ohne Strategien der Bewältigung durchlebt hat. Ein Trauma ist meist mit großer Hilflosigkeit oder auch Todesangst verbunden.
Als Entwicklungstrauma versteht man die großen und kleinen Verletzungen unserer Kindheit etwa wenn man als Baby viel abgelegt und allein gelassen wurde, nicht gut gespiegelt wurde, wenig Körperkontakt von den Bezugspersonen erfahren hat oder gedemütigt wurde. Die Auswirkungen von Entwicklungstraumata werden oft unterschätzt, allerdings können sie unser Leben zum Beispiel in Bezug auf Beziehungen oder unserem Selbstwertgefühl massiv beeinflussen.“
Welche Auswirkungen können Traumata auf die Psyche und auch den Körper haben?
„Was für den einen traumatisch ist, muss für den anderen nicht traumatisch sein. Es hat viel damit zu tun, in welchem Zustand wir uns gerade befinden, wie viele Ressourcen wir haben. Die Auswirkungen sind sehr vielfältig: angefangen von Konzentrationsschwierigkeiten, ADHS, Hochsensibilität über Schlafprobleme, Beziehungsschwierigkeiten, Selbstwertprobleme bis zu Depressionen, Ängste und Störung der Selbstregulation, die entsteht. In der Kindheit lernt man, wie man seinen Körper so gut regulieren, präsent sein und seine Aufmerksamkeit fokussieren kann. Wenn da einiges schief läuft, dann haben wir als Erwachsener unter Umständen mit all diesen und daraus sich ergebenden Themen Probleme. Da der Körper durch das Trauma ständig unter Stress steht, ist die Vulnerabilität körperliche Symptome, von Diabetes bis zum Herzinfarkt, zu entwickeln ist sehr sehr hoch.“
„Veränderungen brauchen Zeit, Geduld und Arbeit.
Hab' Geduld mit dir und bleib dran.“
Welche Methoden gibt es um Traumata zu lösen?
„Gibt einige Therapieformen, die sich auf Trauma spezialisiert haben. Bei Entwicklungstrauma muss man darauf achten, dass die Therapeuten bindungsorientiert arbeiten, da die größte Verletzung in der Bindungsunsicherheit liegt. Hier kommt es ganz viel auf die Arbeitsweise und Haltung von Therapeuten an.“
Warum beschäftigen sich Frauen vor allem rund um die Lebensmitte mit Themen aus der Vergangenheit?
„In der Lebensmitte hat man die ersten Berge erklommen, man hält inne und merkt: Eigentlich macht mich Vieles gar nicht so glücklich, wie ich immer dachte. Die Partnerschaft läuft nicht rund, man fühlt sich nicht so wie man das möchte etc. Je älter wir werden, desto mehr klopfen die Themen unserer Kindheit an unsere Tür.“
Warum ist die Auseinandersetzung mit belastenden Geschehnissen so wichtig?
„Ich betrachte den Körper als Lebenshaus, in dem ich wohne. Wenn dieses Haus total vermüllt ist, fühle ich mich zwangsläufig nicht wohl und es macht Sinn aufzuräumen, nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wer seinen Keller – also seine Vergangenheit – aufräumt, wird sich freier fühlen. C. G. Jung hat einmal mal gesagt: Solange wir das Unbewusste nicht bewusst machen, dirigiert es unser Leben und wir nennen es Schicksal. Das finde ich sehr treffend: Je mehr wir glauben, dass unsere Vergangenheit keine Auswirkung auf unsere Gegenwart hat, desto mehr bestimmt sie unsere Handlungen und wir können uns nicht erklären, warum wir in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Menschen so reagieren. Die Arbeit mit uns selbst macht uns präsenter, liebevoller und oft zu besseren Freundinnen und Partnerinnen. So wird die Vergangenheit nicht mehr länger die Gegenwart und Zukunft bestimmen.“
Welche Faktoren sind für einen effektiven Heilungsprozess wichtig?
„Für eine Heilung braucht es Zeit und den Willen auch schlechte Zeiten zu erleben. Denn wenn man sich mit seinen belastenden Themen auseinandersetzt, kommt viele hoch, verursacht seelischen Schmerz und verändert sich der Blick auf die eigene Welt, bisherige Beziehungen und Strukturen. Es braucht den Mut sich mit sich auseinanderzusetzen, den Willen durch das Tal der Tränen zu gehen und einfach dran zu bleiben. Auch eine Portion Neugier, wie das Leben noch sein könnte, ist hilfreich.“
